Wohnung Weidel, Wien
Eine dunkle Altbauwohnung mutiert zur transparenten Erlebniswelt. Das Schlüsselwort heißt konstruktive Ästhetik.
Dort, wo im Kern des 13. Wiener Bezirkes das laute Schönbrunner Barock auf die leise Moderne der Werkbundsiedlung trifft und der Wienfluß von der Postmoderne eingefaßt wird, findet sich eine der nobelsten Wohngegenden der Bundeshauptstadt. Hietzing, das bedeutet Hoffmann, Loos, Rainer, aber vor allem Hunderte Villen, zumeist um die Jahrhundertwende errichtet, und dementsprechend dem Denkmalschutz eng verbunden. Eingriffe in die bestehende Substanz sind schwierig, zumeist auch unerwünscht. Doch manchmal entdeckt man feine bauliche Irritationen, wie etwa eine verglaste Veranda, die sich im obersten Stockwerk einer Villa aus der Spätzeit des Jugendstils als interessant empfiehlt. Der nach außen hin dezent formulierte Stilbruch manifestiert sich im Inneren unvermittelt zu einem Parcours de force der Architekturelementik. Daß die Formensprache jener von Coop Himmelb(l)au ähnlich ist, kommt dabei nicht von ungefähr, ist doch der Gestalter seit Mitte der Achtziger ständiger Mitarbeiter in Österreichs (nach wie vor) progressivstem Architekturteam. Franz Sam, der für den Wohnungsumbau verantwortlich zeichnet, sieht sich hingegen nicht als Dekonstruktivist, sondern als „konstruktiver Ästhet”, dessen pragmatischer Lösungsansatz sehr wohl jm Funktionalismus begründet ist. “Im konkreten Fall ging es darum, aus einer großen dunklen Wohnung einen lichtdurchfluteten Erlebnisraum zu schaffen”, erklärt der 39jährige Architekt aus dem niederösterreichischen Waldviertel, der seit Beginn der Neunziger ein eigenes Atelier in Wien besitzt. “Trotz der Großzügigkeit von 165 Quadratmeter Wohnfläche und dreiseitiger Fensteranordnung erlaubte der vor- gefundene Grundriß nur unzureichende Belichtung.” Der Primäransatz zur Problemlösung war simpel: Franz Sam ließ sämtliche vorhandene Doppeltüren aushängen und Teile von Zwischenwänden entfernen. Der zweite Schritt be- stand darin, die früheren Räume einer neuen Nutzung zuzuführen. Denn der Wunsch der Bauherrin, einer Jungunternehmerin und Pädagogin mit zwei Töchtern im Twen-Alter, war es, sich ein komplett neues Wohnumfeld zu schaffen- Der Architekt begegnete dem An- sinnen mit einem komplexen System aus, wie er es nennt, “pulsierenden Wandflächen” -Glasschiebetüren, die auf Stahlträgern gleiten und je nach Öffnungsgrad als Türe benutzt werden oder durch gänzliches Wegschieben aus Einzelräumen ein großes Volumen entstehen lassen. Die Träger wiederum sind als “Klammern” ausgebildet, was bedeutet, daß die jeweilige Schiene eines Raumes im angrenzenden Zimmer ihre auskragende Fortführung findet. Somit ergeben sich Ordnungslinien, die trotz vollflächiger Öffnung die einzelnen Räume als eigen- ständige Bereiche definieren. Zwischen den Zimmern finden sich beidseitig be- nutzbare Kästen als Raumteiler sowie fixe schräg gestellte Wandflächen. Daß diese Gestaltungsphilosophie zwar spektakulärist, aber mit Spektakel nichts zu tun hat, demonstrieren Bad und Küche. Beide sind in der Urform winzige Räume, die erst durch Schrägstellung der Wände optimal benutzbar wurden. Das Prinzip der “Verdrehung” findet überall in der Wohnung statt, und der rechte Winkel bleibt nur dort erhalten, wo er auch sinn- voll ist. Analog dieser Anordnung wird das natürliche Licht über Oberlichten und Lichtleitblechen geführt. Das Kunstlicht hingegen definiert sich in Form von fünf zig (!) verschiedenen Lichtquellen, die es den Bewohnern erlauben, eine stimmung zu kreieren, die von mystisch über anheimelnd bis ausleuchtend reicht. Dazu bedurfte es nur weniger speziell designter Leuchtkörper, der überwiegende Anteil besteht aus schlichten Glühlampen bzw. Leuchtstoffröhren, die hinter Nischen, unter Deckensprüngen oder Mauerdurchbrüchen und im spezielIen im Kreuzungsbereich der “Klammern” plaziert wurden.
So wird je nach Wunsch ein Raum nicht nur innerhalb, sondern auch von außen erhellt bzw. nur von außen. “Meine Absicht war es nicht, mich als Lichtplaner oder Leuchtendesigner zu profilieren”, bekennt der Architekt, “sondern den vordringlichsten Aspekt -die Lichtdurchflutung bei Tage – auch am Abend gewährleisten zu können.” Ebenso raffiniert und kalkuliert, wie Franz Sam die Räume konzipierte, verwendete er auch die Materialien: Verputzte Wände, Holz, Stahl, Glas, Spiegelflächen, Nirosta, Lederbespannung u. v. m. wurden exakt dort ein- gesetzt, wo sie nicht nur von der Charakteristik, sondern auch von der Funktion her getragen wurden. Bleibt abschließend noch die Frage nach der “verordneten Architektur” zu stellen, denn ein Raumsystem wie dieses verträgt keine nachträglichen Eingriffe seitens der Bewohner. Franz Sam: “Erst kürzlich teilte mir die Bauherrin mit, daß sie selbst drei Jahre nach Einzug immer noch neue Details und Szenarien entdeckt. Was beweist, daß ein vorgegebenes System nicht im geringsten starr sein muß.”
Quod erat demonstrandum.
Oberlerchner C., Phönix aus der Asche, in: Möbel Raum Design international, 1/96, März April 1996, S. 88-91